Magnus Brechtken, Albert Speer – Eine deutsche Karriere
Durch den Tod des Architekten Albert Speer jun., erst kürzlich am 15. September gestorben, ist das Leben seines Vaters und auch die klare Haltung, wie der Sohn mit den Taten des Vaters umging, noch einmal ins Blickfeld gerückt.
Albert Speer, seit 1931 NSDAP-Mitglied und bald ein Vertrauter Hitlers, wurde rasch zum Architekten des Rassenstaates. Im Krieg engagierte er sich als Rüstungsminister unermüdlich für den totalen Kampf und die Vernichtungsmaschinerie. Gleichwohl behauptete er nach Kriegsende, stets distanziert, ja eigentlich unpolitisch und gar kein richtiger Nazi gewesen zu sein.
Magnus Brechtken zeigt in seiner soeben erschienen Biographie, wie es Speer gelang, diese Legende zunächst selbst zu verbreiten, und wie Millionen Deutsche sie begierig aufnahmen, um sich selbst zu entschulden. Sie hätten mit Hitler und den Nazis nichts im Sinn gehabt, sondern seien nur Verführte, Getäuschte und Unbeteiligte gewesen.
Magnus Brechtken, der stellvertretende Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und
Professor an der Universität München, hat ein umfangreiches Werk über Albert Speer mit dem Untertitel „Eine deutsche Karriere“ vorgelegt. Parallel zu dem Buch wird in Nürnberg die Ausstellung „Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit“ im Dokumentationszentrum neben dem Parteitagsge-lände gezeigt. Die Biografie über Speer zeichnet auf 600 Seiten plus einem Anhang von 300 Seiten Anmerkungen und Quellenangaben den Lebensweg Speers nach, von seinen Anfängen im bürgerlichen Elternhaus hin über den Parteieintritt in die NSDAP zum berühmt-berüchtigten Baumeister Hitlers.
Speer hat von 1946 bis 1966 20 Jahre im Gefängnis in Berlin-Spandau verbracht. Bereits während der Haft und in der ihm verbleibenden Lebenszeit bis 1981 versuchte er, ein Bild von sich zu zeichnen, das ihn als Verführten und reinen Techniker darstellte, der nichts von den Verbrechen Hitlers und der Staatsführung gewusst habe
Nun ist es ein gutes Recht jedes Angeklagten zu schweigen oder auch zu lügen. Interessant in
diesem Fall ist jedoch, wie er zunächst selbst, aber dann auch mit massiver publizistischer Unterstüt-zung so prominenter Autoren wie Joachim Fest, einem der langjährigen Herausgeber der FAZ und Wolf Jobst Siedler, dem ersten Verleger des Verlags, in dem dieses Buch jetzt erschienen ist, eine Sicht nicht nur auf seine Person, sondern auf eine ganze Generation von angeblichen Mitläufern zu prägen verstand. Besonders in der Ausstellung in Nürnberg wird diese Perspektive und auch ihre spätere Zurechtrückung durch nachfolgende Historikergenerationen dokumentiert.
Brechtken beschreibt nicht nur, wie markant Speers Stilisierung als angeblich unpolitischer Techniker den historischen Tatsachen widerspricht. Auf der Basis jahrelanger Recherchen und vieler bislang unbekannter Quellen schildert er vielmehr, wie Millionen Deutsche Speers Fabeln mit Eifer übernahmen, um sich ihre eigene Vergangenheit schönzureden. Vor allem die publizistische Unterstützung durch die benannten Intellektuellen Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler, trug zur Legendenbildung um Speers Erzählung bei.
Entstanden ist nun eine verblüffende Biographie über einen umtriebigen Manipulator – und zugleich ein Lehrstück für den deutschen Umgang mit der eigenen Geschichte.
Er sei Hitlers einziger Freund gewesen, so behauptete der Architekt Albert Speer nach seiner Gefäng-niszeit. Es war wohl diese Suggestion einer besonderen Nähe zu dem Diktator, die ihm eine zweite Karriere als Medienstar ermöglichte. Er wurde der meistzitierte Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts, wie Magnus Brechtken in seinem Werk hervorhebt. Speer sei es gelungen, sich als verführten Bürger und unpolitischen Technokraten darzustellen, der bei seiner fleißigen Arbeit als Rüstungsminister des „Führers“ kaum etwas von den Verbrechen des NS-Regimes wahrgenommen habe.
Dramatisch entwickelte sich diese einmalige Karriere, als Hitler seinem Architekten Anfang
1942 die Schalthebel der deutschen Rüstungswirtschaft in die Hand drückte und ihm jede gewünsch-te Vollmacht erteilte. Speer profitierte von der rücksichtslosen Ausbeutung besetzter Gebiete und von Millionen Zwangsarbeitern. So gelang ihm ein „Rüstungswunder“, das den verlorenen Krieg um vermutlich zwei Jahre verlängern half und ihn selbst als möglichen Nachfolger Hitlers in Position brachte.
Er verstand es, Erfolge als persönliches Verdienst in Anspruch zu nehmen und notfalls Produktionszahlen zu fälschen, sich von der Goebbels-Propaganda feiern zu lassen und Konkurrenten auszuschalten. Die Versammlung der Gauleiter am 2. Oktober 1943 in Posen wurde zu einem Schlüsselereignis. Vormittags sprach Speer über drastische neue Forderungen beim Arbeitseinsatz, nachmittags gab Heinrich Himmler eine ungeschminkte Beschreibung des Massenmords an den Juden. Am nächsten Morgen fuhr die Versammlung zum „Führer“ nach Rastenburg in Ostpreußen. War Speer also in allen Einzelheiten über das größte Verbrechen des Regimes informiert? Er hat das nach 1945 immer wieder bestritten und behauptet, dass er im Anschluss an seine eigene Rede nach Rastenburg vorausgefahren sei. Mit dieser Einlassung rettete er beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecher-Prozess seinen Kopf, ebenso mit dem Verweis darauf, dass für den Arbeitseinsatz formell Gauleiter Erich Sauckel verantwortlich gewesen sei. Beides konnte nicht widerlegt werden. Speers Verteidigungsstrategie, sich als reumütiger, nobler Technokrat zu präsentieren, ging auf und brachte ihm lediglich zwanzig Jahre Haft ein, die er bis zum letzten Tag in Spandau absitzen musste.
Er zeigte sich nach dem Krieg als reumütiger Sünder, der sich zwar keiner persönlichen Schuld be-wusst sei und guten Glaubens dem von ihm verehrten Diktator diente, distanzierte sich aber nun von allen Bösewichtern an der Führungsspitze. Speer gab sich als der „gute“ Nazi, gebildet und gutbürgerlich, der sich als Mahner an die Nachwelt wandte.
Den Speer-Biographen Fest und Sereny wirft Brechtken vor, sei es aus Bequemlichkeit oder aus Gleichgültigkeit, die Archive nicht konsultiert zu haben. Sie hätten die „Fabeln“ Speers immer
weiter kolportiert und ihnen literarische Qualität und Popularität verschafft.
Brechtkens gut lesbare Biographie rückt nun dieses Bild der Fabeln zurecht, indem an vielen Stellschrauben justiert wird: Dem Selbstbild und vor allem der Wahrnehmung durch die genannten Publizisten. Dem Leser sei deshalb geraten, der Aufforderung des Autors zu folgen, selbst „zu prüfen und selbst weiter nachzudenken“.
Dies ist besonders in der Nürnberger Ausstellung „Albert Speer in der Bundesrepublik“, die dort noch bis zum 26.11.2017 zu sehen ist, nachzuvollziehen.
Von den vielfältigen Quellen, die in dem Werk Brechtkens dargestellt werden, seien hier nur einige wenige Aspekte ausgewählt.
Das Thema Arisierung spielt in den Vorbereitungen für den Bau der neuen Reichskanzlei in Berlins
Mitte eine wesentliche Rolle. Auch hier mussten jüdische Bürger ihre Wohnungen räumen und
hergeben für andere, die von den gigantischen Baumaßnahmen für die neue Reichskanzlei betroffen waren und umgesiedelt werden sollten.
Die Schutzbehauptung nicht zu wissen, was mit diesen Menschen geschieht und vor allem, dass dies bereits ein Unrecht war, wird anhand von Quellen ausgiebig bewiesen.
Der Hype – wie wir es heute nennen würden – um Speer in den 1960-er und 70-er Jahren nach seiner Entlassung aus der Haft wird plausibel, wenn man sich die Gesellschaft in dieser Zeit kurz vor 1968 vergegenwärtigt. Speer, der weder der tumbe Nazi noch der brutale Schläger war, wird besonders von seinem Gesprächspartner Fest als Grandseigneur in der Villa in Heidelberg inszeniert. Bereits damals schon vorliegende Forschungen über seine Täterschaft werden nicht wahrgenommen und ausgeblendet. Opfer wie der ehemalige überlebende KZ-Häftling Jean Amery, die dies anzweifelten, wurden nicht beachtet oder gar verschwiegen. Amery verzweifelte schließlich selber an dem Schweigen und den Lügen und nahm sich das Leben. Insbesondere die Rolle Joachim Fests, des damaligen Mitherausgebers der FAZ kann gar nicht hoch genug bewertet werden in der Inszenierung Speers als angebliches Opfer. Speer „sei unter Verbrechern geraten, so als habe er sich irgendwo in der Tür geirrt.“
Für eine größere Öffentlichkeit haben dann die Arbeiten von Heinrich Breloer vom WDR ein
neues Licht auf die Person und die Tätigkeit Speers geworfen. Erst in seiner 2005 erschienenen TV-Dokumentation ist es gelungen, den Zeitzeugen Speer nachhaltig zu entlarven. Damit sei auch die jahrzehntelange Rolle von Joachim Fest „als intellektuelle Leitfigur in der bundesdeutschen Geschichtslandschaft“ hinfällig geworden.
Brechtken gelingt es nun, den Mythos um Speer endgültig zu entzaubern und anhand von Quellen ein Stück weit zur historischen Wahrheit zu finden.
Martin Sölle